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Flagge zeigen im Wettbewerb

Shared Services können gerade organisatorisch nicht entflochtenen Stadtwerken helfen, die Kundenbetreuung und die Marktkommunikation zu optimieren.

Was haben kleine Stadtwerke der Marktmacht großer Energieversorger und Digitalkonzerne entgegenzusetzen? „Qualität und den direkten Draht zum Kunden“, sagt Dennis Artinger kurz und knapp. Das Argument ist nicht neu, doch nach der Erfahrung des Beraters der Münchner K.Group nutzen viele kommunale Unternehmen immer noch nicht das Potenzial, das sich mit einem gezielten Qualitätsmanagement heben ließe.„Wenn sich die Stadtwerke nicht über die Qualität von Produkten und Prozessen differenzieren, wie sollen sie dann dem Wettbewerbsdruck im Markt standhalten“, fragt Artinger.

Das Argument, eine weitgehend individuelle Kundenbetreuung sei sehr teuer und vergrößere nur den Kostenvorsprung der großen Konzerne, lässt er nicht gelten: „Man kann zeigen, dass hohe Qualitätsstandards die Kosten langfristig senken, die Effizienz der Prozesse steigern und die Kundenzufriedenheit erhöhen.“ Das sei vor allem für kleinere Stadtwerke der Schlüssel zu einer wettbewerbsfähigen Positionierung. „Dagegen verursachen die Korrektur einer falschen Abrechnung, die Bearbeitung einer Beschwerde oder überhaupt das Ausbügeln von Fehlern zum Teil erhebliche Kosten“, so der Berater. Hermann Miller pflichtet ihm uneingeschränkt bei. „Die telefonische Erreichbarkeit, die Korrektheit unserer Abrechnungen und die fristgerechte Bearbeitung von Anfragen sind entscheidende Kriterien für die Kundenzufriedenheit“, sagt der Leiter Betreuung und Abrechnung der Stadtwerke Villingen-Schwenningen GmbH. Eigentlich müsste das unter die Rubrik „gesunder Menschenverstand“ fallen. Doch Miller warnt davor, es als selbstverständlich anzusehen, dass die Prozesse dahinter reibungslos und fehlerfrei laufen. Deshalb sei es unverzichtbar, auch trivial erscheinende Kriterien und die dazugehörenden Abläufe systematisch zu erfassen, zu überprüfen und gegebenenfalls nachzujustieren.

Dazu haben die Schwarzwälder ihrer Marktkommunikation, Kundenbetreuung und Abrechnung ein Qualitätsmanagement übergestülpt. Das Gerüst dafür bildet die DIN-Norm ISO 9001:2015. Gemeinsam mit der K.Group haben Miller und seine Kollegen diesen Rahmen mit Leben gefüllt.So haben ein flexibler Dienstplan der Mitarbeiter im Kundenservice und eine neue Telefonanlage dazu beigetragen, die Erreichbarkeit der Stadtwerke Villingen-Schwenningen auf über 90 % zu steigern. „Viele Unternehmen dieser Größenordnung erreichen gerade ein-mal 50 bis 60 Prozent“, weiß Artinger. Mittlerweile ist beim Versorger der südbadischen 85 000-Einwohner-Stadt gewährleistet, dass auch zwischen zwölf und 14 Uhr, wenn erfahrungsgemäß viele Kunden ihre Mittagspause für Anfragen nutzen, ausreichend Mitarbeiter zur Verfügung stehen. „Und wenn sehr viele Anfragen im Frontoffice, das hauptverantwortlich für die telefonische Kundenbetreuung ist, gleichzeitig eintreffen, laufen die Telefonate automatisch zu speziell geschulten Kollegen im Backoffice über“, erklärt Miller. Dies sei zuständig für die Abrechnung und die Marktkommunikation. Ähnliche Vorkehrungen wurden für den elektronischen Posteingang und das Dokumentenmanagement getroffen.Vor diesem Hintergrund spricht Miller eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der Qualitätsorientierung an: Die Mitarbeiter müssen qualifiziert sein und mitziehen. Die Energiewirtschaft mit ihrem regulatorischen Rahmen werde immer komplexer. „Deshalb ist energiewirtschaftliches Know-how für die Beratung unabdingbar“, betont er. Mit einem „einfachen“ Callcenter sei es lange nicht mehr getan. Und wer glaube, an dieser Stelle seinen Kunden mit einer möglichst billigen Lösung begegnen zu können, werde schnell Schiffbruch erleiden.Das Fachwissen, das zur Kundenbetreuung benötigt wird, ist in Villingen-Schwenningen in einer Wissensdatenbank hinterlegt – auch ein Ergebnis des Qualitätsmanagements. Auf dieses Wissen greifen Mitarbeiter zu, die sowohl für die netzseitige als auch für die lieferantenseitige Abrechnung und Kundenbetreuung zuständig sind. „Wir haben eine Shared-Service-Organisation eingeführt und damit einen großen Schritt zu mehr Effizienz und höherer Qualität gemacht“, sagt Miller. Das bedeutet, netz- und lieferantenseitig wurden Marktkommunikation und Kundenbetreuung zusammengeführt und auch für die Abrechnung beider Bereiche wurden die Ressourcen und damit das Know-how gebündelt. Als Unternehmen mit weniger als 100 000 Netzkunden unterliegen die Stadtwerke Villingen-Schwenningen nicht der Pflicht zum organisatorischen Unbundling und können daher Synergien heben. Die bisherigen Ergebnisse bestätigen die Verantwortlichen beim kommunalen Energieversorger in ihrer Entscheidung zur Reorganisation: Doppelarbeiten werden vermieden und die Komplexität der Schnittstellen zwischen Funktionsbereichen im Unternehmen konnte deutlich reduziert werden, weil gleichartige Aufgaben gebündelt und von den gleichen Spezialisten bearbeitet werden. „Für kleinere Stadtwerke, die Netz und Vertrieb organisatorisch nicht trennen müssen, ist ein solches Shared Service Center die ideale Organisationsform, um hohe Qualitätsstandards zu erreichen“, sagt K.Group-Berater Artinger. Damit sei es auch leichter, Prozesse zu verbessern und weiterzuentwickeln. Denn letztlich sei Kundenbetreuung ja Kundenbetreuung – sowohl die der Netzkunden als auch die der Endverbraucher. Und die dafür zu schulenden Mitarbeiter seien dieselben.

Allerdings, so räumt Artinger ein, wird auch eine noch so effizient und auf Qualität ausgerichtete Organisation nicht alle Risiken ausschließen können. Deshalb gehört zur ISO 9001 auch ein differenziertes Risikomanagement. Es bewertet anhand einer Risikoprioritätszahl (RPZ), wo im Qualitätsmanage-ment die ohnehin schon hohen Standards noch weiter angehoben werden müssen. Welche Stakeholder haben welche Erwartungen? Welche Konsequenzen drohen, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden? Das sind die Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden. Die dazugehörige Formel lautet: Ereigniswahrscheinlichkeit mal Schadensausmaß mal Fehlerentdeckungswahrscheinlichkeit. Am Ende gibt dann eine Zahl darüber Auskunft, wo auf keinen Fall ein Lapsus passieren darf.

 

// Artikel von Herrn Fritz Wilhelm, stellvertretender Chefredakteur, Energie & Management Verlagsgesellschaft mbH – E&M-Ausgabe vom 1. Februar 2019