english

Die Branche will das Netz

Eine neue Lizenzvergabe für die 450-MHz-Frequenz rückt näher. Entsprechend nimmt die Diskussion über deren Bedeutung für die Energiewirtschaft langsam fahrt auf.

Die Energiewirtschaft braucht ein Netz, das auch bei einem Blackout die Krisenkommunikation zuverlässig ermöglicht. Die ideale Lösung dafür sieht die Branche in der 450-MHz-Frequenz, die sich darüber hinaus auch noch hervorragend für die Anbindung intelligenter Messsysteme eignet. 450 Connect besitzt bereits eine entsprechende Lizenz. Die deutsche Tochtergesellschaft des niederländischen Energie- und Telekommunikationsnetzbetreibers Alliander baut derzeit mit sechs Verteilnetzbetreibern in deren Regionen jeweils ein 450-MHz-Netz auf. Daneben hat sich eine Initiative um die Bonn-Netz GmbH formiert, die sich für eine kommunale Lösung stark macht.

„In vielen Gesprächen, die wir mit Energieversorgern und Netzbetreibern führen, hören wir, dass sie das Thema für interessant und wichtig halten“, sagt Wolfgang Schmitz. „Allerdings geben die meisten im gleichen Atemzug zu, dass sie es bisher noch nicht auf dem Schirm haben“, so der Geschäftsführer von „K.LAB“. Schmitz und seine Kollegen vom  Innovationslabor  der  K.Group begleiten die Initiative der Bonner. Deren Geschäftsführer Theo Waerder  hat  mittlerweile  über 50 kommunale Stromnetzbetreiber als Unterstützer gewonnen, die sich gemeinsam bei der anstehenden Vergabe  um  eine  Lizenz  für  die 450-MHz-Frequenz bewerben wollen.

 

Ohne Stromversorgung keine öffentliche Ordnung

Rückenwind spürt Waerder durch die Aussagen der Bundesnetzagentur, die Frequenz für Anwendungen „kritischer Infrastrukturen“ vorzusehen. Allerdings hatte der Regulierer durchblicken lassen, dass als Lizenznehmer nicht nur die Energiewirtschaft, sondern auch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und  sogar die Bundeswehr in Betracht kommen. Jüngste Gespräche im Bundeswirtschaftsministerium nähren allerdings die Hoffnung, dass die Energiewirtschaft große Chancen hat, die Lizenz zu erhalten – sogar unentgeltlich. So jedenfalls ist aus Branchenkreisen zu hören. „Wir wollen zeigen, dass die Sicherheit der Net- ze oberste Priorität haben muss und wir eine schwarzfallfähige Kommunikationslösung benötigen“, betont Waerder. Denn im Krisenfall sei die Stromversorgung mihilfe der üblichen Mobilfunk- verbindungen nicht wiederherzustellen. Deren Notstromversorgung sei nur für wenige Stunden gepuffert und außerdem sei bei einem öffentlichen Netz im Krisenfall die Überlastung der Frequenz vorprogrammiert. Letztlich könne ohne Stromversorgung auch keine öffentliche Ordnung gewährleistet werden, gibt der Geschäftsführer der Bonner Stadtwerke-Tochter zu bedenken.

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat bei einer Stellungnahme zur Frequenz- bedarfsabfrage der BNetzA im Frühjahr 2018 ebenfalls darauf hingewiesen, die Stromversorgung sei die Grundlage für die Bereitstellung aller weiteren kritischen Infrastrukturen. „Wir finden es gut, dass sich unsere Mitglieder intensiv Gedanken über das 450-MHz-Netz machen und die Frequenz für die Branche sichern wollen“, sagte eine Sprecherin zu E&M. Bei der Frage, wie eine Lizenz dann konkret, sozusagen im Innenverhältnis der Energiewirtschaft, umgesetzt werden könnte, bleibt der VKU jedoch neutral.

Nicht nur die Unternehmen der Bonner Initiative, auch die Kunden von 450 Connect haben einen kommunalen Hintergrund wie die Regionetz GmbH aus Aachen. Deren CIO und Leiter der Stabsstelle IT-Management, Christoph Aretz, ist von der Zusammenarbeit mit 450 Connect durchaus angetan. Die Standorte der Sendemasten seien schnell ertüchtigt und das 450-MHz-Netz zügig aufgebaut gewesen. Derzeit laufen Tests. Die Aachener wollen einen Betriebsfunk für Krisensituationen aufbauen. Außerdem sollen die Rundsteuerungen ihrer Anlagen ersetzt und die langwellige Frequenz zur Anbindung intelligenter Messsysteme genutzt werden. Eigene Untersuchungen hätten ergeben, dass jeder zweite Keller in Aachen mit Mobilfunk nicht erreichbar ist. Mit 450 MHz sei es dagegen möglich, auch noch durch dicke Mauern im Untergeschoss Daten zu transferieren.

„Die tatsächlichen Messergebnisse sind sogar noch besser als die Netzberechnungen“, sagt Aretz. Bei aller Wertschätzung für sonstige Brancheninitiativen steht für die Regionetz, die Ende 2017 einen langfristigen Vertrag mit 450 Connect geschlossen hat, derzeit nicht zur Debatte, sich anderweitig zu orientieren. Seit März 2018 hat auch die Netzgesellschaft der Schweriner Wemag einen Vertrag mit 450 Connect. Deren Modell erlaube eine regionale Wertschöpfung, gepaart mit hoher Frequenzeffizienz, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit, lobt Thomas Murche. „450 Megahertz ist der einzige standardisierte Frequenzbereich unterhalb ein Gigahertz, der nicht für den öffentlichen Mobilfunk genutzt wird und damit hohe Verfügbarkeit einer geeigneten Frequenz mit moderner Mobilfunktechnologie verbindet“, so der technische Vorstand der Wemag. Die öffentlichen Kommunikationsnetze in der Region des Energieversorgers seien dagegen kaum geeignet, die hohen Anforderungen der Energiebranche an eine digitale Infrastruktur zu erfüllen. Dass weitere Unternehmen aus der Branche sich um eine krisenfeste und Smart-Grid-fähige Kommunikationslösung bemühen, überrascht ihn nicht. Die Bonner Initiative sei der Wemag aber unbekannt.

„Nach unserem Kenntnisstand ist 450 Connect das einzige Unternehmen mit Frequenzen, Wirknetzen, Ausbauprojekten und Vorbereitungen für den nationalen Ausbau“, so Murche.

 

Derzeit vergebene Lizenzen sind bis 2020 befristet

Sich in die Riege der 450-Connect-Kunden einzureihen, ist für Waerder kein Thema. Er hält es für problematisch, das Wohl und Wehe der Stromversorgung im Krisenfall in die Hände eines Unternehmens mit kommerziellen Interessen zu legen, das auch branchenfremden Nutzern die Frequenz anbietet. Es sei essenziell, dass die Netzbetreiber selbst unmittelbaren Zugriff auf das Kommunikationsnetz  haben.  Deshalb setzt er sich für eine „interne“ Lösung der Energiewirtschaft ein. Ein Genossenschaftsmodell, in dem diskriminierungsfrei Unterlizenzen an kleinere Stadtwerke gegeben werden, könnte nach Ansicht von Waerder und Schmitz ein solcher Ansatz sein. Kostendämpfend könnten sich dabei die bereits bei einigen Unternehmen vorhandene 430-MHz Betriebsfunkinfrastruktur und die jeweils eigene Notstromversorgung der Netzbetreiber niederschlagen. An eine starre Grüppchenbildung glaubt man beim VKU indes nicht. „Allen Unternehmen wird klar sein, dass sich die Branche geschlossen präsentieren sollte, damit sie eine Chance auf eine Lizenz hat“, so eine Sprecherin.

450 Connect will sich zur Frequenzverlängerung selbst nicht äußern. Es sei ein laufender Prozess. Genauso hält sich auch die Bundesnetzagentur mit öffentlichen Äußerungen zurück. Nur so viel zum weiteren Verfahren: Die derzeit an die Deutsche Telekom und 450 Connect vergebenen 450-MHz-Lizenzen sind bis zum 31. Dezember 2020 befristet. Für eine Nachfolgenutzung seien „divergierende Interessen unterschiedlicher Nutzergruppen“ an den Regulierer herangetragen worden. Deshalb sei eine Bedarfsabfrage erfolgt, zu der 49 Eingaben gemacht wurden, vor allem aus den Reihen der Energieversorger, aber auch von Sicherheitsbehörden. Die würden nun ausgewertet, sagte ein Sprecher der Behörde zu E&M. In einer ersten kurzen Stellungnahme zur Bedarfsabfrage hat die Bundesnetzagentur allerdings schon erkennen lassen, dass sie auf jeden Fall ein nationales Betreibermodell für kritische Infrastrukturen   favorisiert.

Unterdessen hofft die Energiewirtschaft geschlossen, dass eine vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie ihren Bedarf noch einmal unterstreicht und zeigt, dass die anderen Interessenten mit eigenen Funkfrequenzen bereits gut ausgestattet sind.

 

// Artikel von Herrn Fritz Wilhelm, stellvertretender Chefredakteur, Energie & Management Verlagsgesellschaft mbH – Titelgeschichte der E&M-Ausgabe 20